Angetreten, um Politik zu machen - besser?
Etwas Besseres als die Fusion - Ein Vorschlag für die Aktivisten der Berliner WASG |
von Sebastian Gerhardt, Mary Killian, Roland Klautke, Michael Mäde, Susanne Rohland, u.a. , 30.12.2006 - bisherige Aufrufe: 263* | |
Es gibt Situationen, in denen fällt die Wahl ganz leicht. So antwortet im Märchen von den Bremer Stadtmusikanten der Esel auf die Klage des Hahns: "Komm mit uns. Etwas besseres als den Tod finden wir überall." Und der Hahn schloß sich ihnen an und die Geschichte fand ein glückliches Ende. Aber nicht immer ist die Alternative so klar. Seit dem 17. September verharrt die Mehrheit der Berliner WASG, die den eigenständigen Antritt erstritten und den Wahlkampf geführt hat, in Untätigkeit. Weder in der Defensive noch in der Offensive sind wir handlungsfähig. Die Operation "Weihnachtsgans" war ein Lebenszeichen, aber keine nachhaltige politische Praxis. So notwendig und alternativlos unser Wahlantritt war, so wenig ist das Ergebnis von 40 000 Zweitstimmen ein Auftrag zum "einfach weitermachen". Ganz abgesehen davon ist eine Fortsetzung unserer Aktivität auf dem Niveau der letzten anderthalb Jahre nicht durchzuhalten. Wir werden für unsere politische Arbeit nicht bezahlt und haben noch ein Leben außerhalb der Partei. Angesichts der sicheren Perspektive einer Fusion zwischen WASG und L.PDS zu den Bedingungen der L.PDS, einschließlich eines Freibriefs für ihre Regierungsbeteiligungen, stellen sich viele die Frage, was für einen Sinn die Anstrengungen und Auseinandersetzungen um die weitere Arbeit haben. Es reicht in dieser Situation nicht, die Fusion mit vielen guten Gründen zu kritisieren, wie wir es schon oft getan haben. Es reicht auch nicht, einfach irgendetwas anderes zu wollen. Es muß schon besser sein als die Fusion, die uns da geboten wird. Eine einfache Fortführung des Landesverbandes wird es nicht geben - sie ist weder juristisch noch politisch möglich. Was aber das "Bessere" sein soll, darauf gibt es ganz unterschiedliche Antworten. Nicht immer antworten die gleichen Leute auf die gleiche Weise. Sicher ist, daß wir eine gemeinsame Geschichte haben. Sicher ist, daß wir bis heute gemeinsame Positionen haben: Wir wollen eine ernst zu nehmende Kraft der linken, der sozialen Opposition in Berlin. Fraglich sind die Gemeinsamkeiten unserer politischen Zukunft.Variante 1. Alle ziehen nach Rixdorf: Eine Strömung in der neuen Linken? Auch die Initiative Rixdorf will nicht einfach in der L.PDS untergehen. Sie hat jedoch von Anfang an vertreten, daß wir nur nach Maßgabe des Kooperationsabkommens III Einfluß auf die Bildung der neuen Partei nehmen können. Nun haben ihre Interventionsversuche weder im Wahlprogramm noch in der Regierungsbeteiligung der L.PDS Spuren hinterlassen. Aber sie haben die normative Kraft des Faktischen auf ihrer Seite: Es wird nur eine solche Linkspartei geben, die mit den Ost- Landesverbänden (und Landtagsfraktionen) der L.PDS kompatibel ist. Und wenn die neue Partei fertig ist, dann will man alles ausdiskutieren. Diese Grundhaltung, die allen Entscheidungen des Bundesvorstandes und der Bundesparteitage der WASG zugrunde lag, wird inzwischen von vielen offenen Kritikern der autoritären Parteiformierung im gesamten Bundesgebiet geteilt. Mehrheitlich werden sie in die neue Partei eintreten, weil es lokal keine sinnvolle Alternative zur Zusammenarbeit mit den Mitgliedern der L.PDS gibt. Es existiert keine Basis für die Bildung einer handlungsfähigen neuen Organisation auf Bundesebene. Statt dessen orientieren viele Linke auf die Bildung mehrerer starker antikapitalistischer/sozialistischer Strömungen in der neuen Partei. Allerdings gibt es ein Problem, an dem bisher alle linken Kritiker in der PDS gescheitert sind: Keiner Strömung ist es gelungen, neben der ideologischen Polemik eine entsprechende Praxis aufzubauen. Organisatorisch sind sie über die Rolle nörgelnder Trittbrettfahrer nicht hinausgekommen. Eine wirklich antikapitalistische Linke müßte sich neben der Behauptung in den innerparteilichen Hahnenkämpfen - schwer genug, angesichts des fortgeschriebenen Übergewichtes des hauptamtlichen Apparates der Fraktionen aller Ebenen - auch noch als nach außen aktionsfähige politische Organisation bewähren. Diese doppelte Aufgabe halten wir für unlösbar. Wer in die neue Linkspartei geht, macht es sich nicht leichter im Aufbau einer sozialen Opposition, sondern schwerer. Wer sich aber dabei - wie die "Antikapitalistische Linke" schon heute - in die Fußstapfen von Oskar Lafontaine begibt und bloße Rhetorik als höchste Form des Klassenkampfes praktiziert, der gehört nicht mehr zur sozialen Opposition und hat für seine vorhersehbaren Niederlagen kein Mitleid verdient. Variante 2. Vorwärts immer, rückwärts nimmer! Eine Regionalpartei für BerlinSpiegelverkehrt zur Parteifixierung der Rixdorfer versuchen andere, gegen die Parteifusion von oben das WASG-Konzept in einer Regionalpartei neu aufzulegen. Dieser Versuch wird jedoch an denselben Widersprüchen leiden wie die WASG bei ihrer Gründung - nur ohne die Aufbruchsstimmung der damaligen Situation. Statt Kräfte für die Behauptung gegen die Angriffe von oben freizusetzen, wird eine solche Neugründung ihre Aktivisten in Kämpfe um die formale, bürokratische Behauptung des Parteienstatus zwingen. Nun sagen manche, den Begriff der Partei könne man doch ganz unterschiedlich verwenden. Im eigenen Wohnzimmer stimmt das zweifellos. Im öffentlichen Leben dieses Landes heißt aber "Partei", daß eine Organisation sich durch die Beteiligung an Wahlen an der politischen Willensbildung beteiligt. Der große Enthusiasmus bei der WASG-Gründung ging entscheidend auf ihre parlamentarische Orientierung, ihre Gründung als "Wahlalternative" zurück. Aber Wahlbeteiligungen sind nicht das einzige Mittel der politischen Arbeit. Nach unserem Erfolg vom 17. September wäre zumindest ein Nachdenken darüber fällig, ob sie für uns immer das beste Mittel sind. In den nächsten Jahren stehen in Berlin zudem keine Wahlen an - und momentan hätten wir keine Chance, ein besseres Resultat zu erreichen. Ohne daß wir uns in der außerparlamentarischen Arbeit Anerkennung verdienen und ein politisches Umfeld schaffen, ist noch in fünf oder zehn Jahren nicht an ein besseres Abschneiden zu denken. Ohne eine solche Basis für unsere Politik ist ein parlamentarischer Anspruch nicht glaubwürdig. Einige Kollegen legen trotzdem großen Wert auf die Behauptung unseres Platzes in der parteipolitischen Konkurrenz. Sie sehen etwa einen bloßen Verein als "Rückzug", "zu defensiv" und in dem Anspruch auf Wahlteilnahme die klare Abgrenzung von der neuen Linkspartei. Uns Abgrenzen und Bündnisse schließen müssen wir aber in der praktischen Arbeit. Alles andere wäre ein Weg in eine freiwillige Isolation. Und aus der Defensive kommt man mit noch so radikalen Pressemitteilungen nicht heraus. Eine Alternative zum Fusionsprojekt einer vereinheitlichten Linken sollte in der Realität, und nicht nur auf dem Papier besser aussehen. Deshalb halten wir den Weg einer Regionalpartei für falsch. Variante 3. Lieber weniger, aber besser: ein wirklich politischer VereinDie Bildung der Berliner WASG war zumindest unter einem Gesichtspunkt ein Quantensprung in der Geschichte sozialer und solidarischer Protestbewegungen in der Stadt: Erstmals seit Jahren gelang eine organisatorische Verankerung in allen Bezirken. Daran können wir anknüpfen, wenn wir unsere Möglichkeiten ausbauen, statt uns mit übersteigerten Ansprüchen zu ruinieren. Schließlich sind die Schwächen der WASG Berlin nicht nur hausgemacht, sondern in vielem ein Spiegel einer gesellschaftlichen Gesamtlage, in der die wenigen Abwehrkämpfe von abhängig Beschäftigten wie Erwerbslosen immer wieder isoliert geblieben sind. Allein aus eigener Kraft werden wir das nicht ändern können. Aber wir müssen nicht allein bleiben. Es gibt Bündnispartner, wenn wir unsere Stärken einsetzen. 1) Keine andere Organisation versucht heute noch, Hartz IV politisch zu bekämpfen. Die Sozialproteste sind auf symbolische Aktionsformen zurückgeworfen. Den Platz vor den Jobcenter haben die Parteien, aber auch die Gewerkschaften praktisch geräumt: Wer kämpft heute noch für eine Erhöhung des Regelsatzes? Um aber langfristig Widerstand zu leisten, müssen wir uns selbst und die Betroffenen qualifizieren und organisieren. 2) Hartz IV hat den Niedriglohnsektor massiv erweitert und in steigendem Ausmaß prekäre Selbständigkeit hervorgebracht. In beiden Bereichen greifen die herkömmlichen gewerkschaftlichen Vertretungsformen nicht. Neue Organisations- und Widerstandsformen müssen politisch ausprobiert werden. 3) Angesichts einer zunehmend liberalen "Linken" und der politischen Vereinzelung der abhängig Beschäftigten und Erwerbslosen gewinnen rechte, nationalistische und autoritäre Antworten auf die soziale Frage immer mehr Zustimmung. Über die Konfrontation mit den faschistischen Organisationen hinaus müssen diese sozial isoliert werden. Die Antifa kann das allein gar nicht anfangen, aber wir können gemeinsam daran arbeiten. 4) Strategische Projekte der neoliberalen Stadtpolitik brauchen eine organisierte stadtpolitische Opposition, egal ob es um die Privatisierung der Sparkasse oder die Einführung von Studienkonten geht. Schon heute richten sich in diesem Bereich mehr Hoffnungen auf uns, als wir erfüllen können (Antiprivatisierungsbündnis, Sparkasse). Hier müssen wir hier einen Schwerpunkt für eine langfristige, nicht nur kampagnentechnische Arbeit setzen. 5) Eine letzte Frage geht momentan eindeutig über unsere Kraft, ist aber für die Zukunft einer sozial verankerten Linken zentral: Die Migranten in Berlin sind von der sozialen Entwicklung wie von der politischen Willensbildung (Wahlrecht!) klar abgekoppelt. Und der Platz, den die Linke geräumt hat, wird auch hier mit autoritären und nationalistischen Praktiken gefüllt. Ohne Aussicht auf kurzfristige Erfolge müssen wir versuchen, solidarische Alternativen des Widerstands zu entwickeln. Diese Problemfelder sind miteinander verbunden. Deshalb sollten wir versuchen, unsere Arbeit auf diesen Felder abzustimmen, voneinander zu lernen und uns gegenseitig zu unterstützen. Dafür brauchen wir eine berlinweite Organisation mit Bezirksgruppen, einer demokratischen Willensbildung, einem arbeitsfähigen Landesvorstand und Finanzen. Dafür brauchen wir ein Minimum an inhaltlicher Übereinstimmung, eine gemeinsame linke antikapitalistische Position. Vor allem aber braucht es dazu aktive Mitglieder - aus der WASG und viele neue, z.B. aus der gewerkschaftlichen Linken und sozialen Protestbewegungen, die wir im Wahlkampf nicht erreicht haben. Deshalb muß der Verein für neue Leute offen sein. Offen für alle, die unsere Mühen mit uns teilen wollen, auch für Mitglieder der neuen Linkspartei. Wer nur die Parteigeschichte der Berliner WASG fortführen will, wird keine attraktive Alternative zur Gysi-Lafontaineschen Linken aufbauen können. Wenn wir heute damit beginnen, eine neue Organisation zu planen, dann kann sie das Brauchbare aus den Erfahrungen der zwei Jahre WASG mitnehmen. Es geht sozusagen um eine Dialektik von Kontinuität und Bruch. Als ersten Schritt sollten wir in der Zeit bis zum Landesparteitag am 10. Februar eine ausführliche und - in der Sache - rücksichtslose Diskussion führen, wie wir uns zum Fusionsprozeß stellen. Viele werden sich erst in dieser Zeit entscheiden. Dann brauchen wir nach dem 10. Februar eine Bilanz: eine Urabstimmung im Landesverband mit einer ehrlichen Fragestellung. Nicht mit einer verschämten Berufung auf die schönen Beschlüsse des Bundesparteitages, die sowieso nicht umgesetzt werden, sondern klar und deutlich: Wer die Fusion mit der real existierenden Berliner L.PDS will, der soll das so sagen. Danach werden wir wissen, wie die Kräfteverhältnisse im Landesverband sind. Wir werden wissen, mit wem wir für unserer Ziele einer ernst zu nehmenden Kraft der linken, der sozialen Opposition in Berlin arbeiten können. Dann werden wir uns über die Einzelheiten verständigen müssen, wie wir in der nächsten Zeit arbeiten wollen. Und wenn wir einen wirklich handlungsfähigen Verein hinbekommen, dann können wir auch rechtzeitig vor den nächsten Berliner Wahlen entscheiden, ob und wie ein Wahlantritt politisch sinnvoll ist. Wie es technisch zu machen ist, wissen wir ja schon. Berlin, 28.12.2006 Sebastian Gerhardt, Mary Killian, Roland Klautke, Michael Mäde, Susanne Rohland, Michael Schilwa, Rouzbeh Taheri, Rainer Wahls
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Letzte Aktualisierung ( 30.12.2006 ) * per 31.12.2006 |
Ulrich Maurer: DIE LINKE. wird in Karlsruhe gegen Umgehung des Bundestages bei Tornado-Einsatz in Afghanistan klagen
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