WASG-Opposition: Als Tiger gesprungen und als Vorleger gelandet
07.05.2006
Am 5. Mai 2006 veröffentlichten Joachim Bischoff und Björn Radke den nachfolgenden Beitrag im Netz (http://www.sozialismus.de/socialist):
"Hartz IV: besser, effizienter und praxistauglicher?
Die soziale Unterstützung von Langzeitarbeitslosen und Berufstätigen, deren Erwerbseinkommen nicht zum Lebensunterhalt ausreichen, ist in "Hartz IV" geregelt. Dieses "Reformgesetz" aus der sozialdemokratisch-grünen Agenda 2010 ist gut ein Jahr in Kraft und
wird jetzt das zweite Mal "nachgebessert".
"Nachbesserung" heißt konkret: Das sozialdemokratisch geführte
Arbeitsministerium hofft, mit einer Fülle von Paragraphen und der
flächendeckenden Installierung von Außendienst- und Telefonkontrollen allein in diesem Jahr noch 500 Mio. Euro und ab 2007 jährlich 1,5 Mrd. Euro einsparen zu können. Das "Optimierungsgesetz" reagiert nicht auf den viel zu niedrigen Regelsatz von 345 Euro und die würdelose, teils schikanöse Feststellung von "Bedürftigkeit". Mit einer Verschärfung der Definitionen und dem Ausbau des Kontrollnetzes soll vielmehr eine vorgebliche "Anspruchsinflation" zurückgedrängt werden.
An dieser "Reform" der "Reform" wird die Perspektivlosigkeit der Politik im entfesselten Kapitalismus deutlich.( Unterstr. d. Verf.) Die Produktivität der gesellschaftlichen Arbeit steigt kontinuierlich, gleichzeitig werdendie eigentlichen Produzenten des gesellschaftlichen Reichtum nicht mehr am Ergebnis ihrer Arbeit beteiligt. Es stagnieren die Einkommen oder - unter Berücksichtigung von staatlichen Umverteilungsoperationen - gehen sogar zurück. In der Bundesrepublik Deutschland sank die Lohnquote allein im vergangenen Jahr um 1,4 Prozentpunkte; seit dem Jahr 2000 ist sie um mehr als fünf Prozentpunkte abgesenkt worden. .( Unterstr. d. Verf.)
Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik sind die Arbeitnehmerentgelte 2005 sogar nominal (um 0,5%) gefallen; das heißt, die Gewinn- und Vermögenseinkommen haben mit 32 Mrd. Euro stärker zugenommen als das gesamte Volkseinkommen von 26 Mrd. Euro. Zugleich wird die Arbeitszeit in allen Formen verlängert. Die Folge: Ein beträchtlicher Teil der Erwerbsbevölkerung, der vom Verkauf seiner Arbeitskraft lebt, wird aus der Gesellschaft strukturell ausgegrenzt.
In Deutschland werden gegenwärtig über 6,74 Mio. BürgerInnen, die in fast vier Millionen Bedarfsgemeinschaften leben, durch Sozialeinkommen unterstützt - nach einer Bedürftigkeitsprüfung. Hinzu kommen 900.000 Werktätige, die Ergänzungsleistungen in Anspruch nehmen, weil sie vom Arbeitsentgelt allein nicht existieren können.
Obwohl die Sozialverbände mehrfach nachgewiesen haben, dass der Warenkorb, der diesen Unterstützungsleistungen unterliegt, keine würdige Existenz der betroffenen BürgerInnen ermöglicht, haben sich mit dem "Optimierungsgesetz" die "staatstragenden" Kräfte durchgesetzt: "Die Dynamik der steigenden Bezieherzahlen und Milliardenausgaben muss gebrochen werden, damit das Sozialsystem Hatz IV nicht aus dem Ruder läuft und sich zu einer Grundsicherung für
immer größere Teile der erwerbsfähigen Bevölkerung entwickelt."
Die etablierten politischen Parteien verbeißen sich in eine Spar- und Kontrolllogik gegenüber den Ausgegrenzten. Weil die Praxis von "Schnüffelei" und kontrollierter Armut letztlich dem Selbstverständnis des mündigen Bürgers widerspricht, erfährt die Idee eines allgemeinen Grundeinkommens einen konjunkturellen Auftrieb. Allerdings: Abgeschreckt vom erforderlichen Volumen an gesellschaftlichem Reichtum zum Unterhalt der dauerhaft Beschäftigungslosen, wird dann doch an der Bedürftigkeitsprüfung herumgearbeitet. Die Auseinandersetzung um "Armutspolitik" wird zu einem Dauerthema der politischen Klasse.
Es gibt eine Alternative: die politische Regulierung.( Unterstr. d. Verf.) der durch Marktprozesse bewirkten Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums. Durch das "Optimierungsgesetz" sollen jährlich 1,5 Mrd. Euro eingespart werden; dies sind letztlich marginale Beiträge, denkt man an eine Vermögenssteuer auf das über vier Billionen Euro umfassende Geldvermögen der privaten Haushalte."
So richtig es ist, auf der Lohnquote als dem zentralen Maß für Erfolg und Misserfolg für alle das Wohl der lohnabhängigen Menschen verfolgenden Anstrengungen zu bestehen, und so richtig es ist, die Hartz- Verschlimmerungen als Ausdruck einer Ohnmacht der staatlich-parlamentarischen Organe gegenüber dem Verlauf des volkswirtschaftlichen Reproduktionsprozesses zu sehen, so falsch ist es, am Schluss dann doch wieder genau von dort die Erlösung zu versprechen, wo sie kurz vorher zu Recht als „perspektivlos“ verworfen wurde, und statt nach Wegen zur Erhöhung der Lohnquote zu fahnden, nach den 4 Billionen privatem Geldvermögen einschließlich der Parlamentsposten zu seiner Umverteilung zu schielen.
Warum führt eine Umverteilung ins Leere?
1.
Eine Umverteilung beeinflusst die Lohnquote erst einmal ganz und gar nicht, denn umverteilt wird Geldvermögen, das in vergangenen Produktionszeiträumen dadurch überschüssig wurde, weil die Produkte konkurrenz- und krisenbedingt unter Wert losgeschlagen wurden. Diese Produkte sind damals verkonsumiert worden, das Geldäquivalent ihrer Verkaufspreise unter ihrem Wert aber nicht. Das liegt seit damals auf der hohen Kante oder turn auf den Finanzmärkten.
2.
Warum liegt es auf der hohen Kante? Weil man es nicht essen kann! Und: Auch umverteiltes Geld kann man nicht essen.
3.
Wenn nun mehr gehortetes Geld aus vergangenen Produktions-und Konsumtionszeiträumen in den Volkswirtschafskreislauf gepumpt wird, können sich im gegenwärtigen Produktions- und Konsumtions- zeitraum nur die Preise erhöhen, die Würste auf dem Teller werden dadurch aber nicht verdoppelt.
4.
Doppelte Wurstportionen auf dem einen Teller können nur dann aufgelegt werden, wenn auf einem anderen Teller diese Hälfte weggenommen worden ist, d.h. solange sich die "Reichen" nicht tatsächlich auch "gezwungen" sehen, nicht nur über weniger Nullen auf der hohen traurig zu sein, sondern darüber hinaus auch tatsächlich weniger Würste auf ihrem Teller auflegen zu können (die dann von den Armen genossen werden können), so lange nützt die Umverteilung von Geldvermögen gar nichts.
5.
Umverteilung nützt also nur etwas, wenn den „Reichen“ ZUSÄTZLICH zu den 4 Billionen Geld AUßERDEM auch noch zum Verzicht auf Spanferkel veranlasst werden können, die zur Produktion von Würsten für die „Armen“ genommen werden können (gemeinhin als Segelyachtgemüseeintopfkonversion bekannt)
6.
Ließe man "den Reichen" etwas von den 4 Billionen auf ihrer hohen Kante übrig, dann würden sie zuerst dieses "Etwas" von der hohen Kante holen und in Spanferkel umtauschen bevor sie ihren normalen (Spanferkel-)Konsum einschränken, d.h. sie werden das aus vergangenen Produktions- und Konsumzeiträumen stammende, damals auf die hohe Kante gelegte "Etwas" nehmen, in den gegenwärtigen Produktions- und Konsumtionszeitraum „einführen“ und damit zwar ihr Spanferkel weiter auf dem Teller, gleichzeitig aber auch die Preise aufgebläht haben, um selbst ihren Standard zu halten. Das Aufblähen führt aber - wie beschrieben - nicht zu mehr Produkten, sondern nur zu teureren Produkten, und unter dieser Teuerung hätten dann doch wieder die "Armen" zu "leiden", die dann möglicherweise zwar mehr (umverteiltes) Geld in den Taschen hätten, sich dafür aber nicht mehr (sondern doch nur wieder dasselbe Wenige) kaufen könnten.
7.
Wenn das also mit der Umverteilung etwas werden sollte, müssten 4 Billionen plus X von den Reichen genommen werden, und nur im Umfang von Plus X wäre das dann auch ein Mehrkonsum der „Armen“, nämlich zu Lasten des Konsums (und nicht der hohen Kante) der “Reichen“.
8.
Geld auf der hohen Kante ist nichts weiter als ein Vorrechtsschein zum Bezug von Waren. Es vermehrt aber nicht die Waren. Es verteuert sie nur, so dass die Waren letztlich nur von demjenigen erworben werden können, der es sich „leisten“ kann, diese preisaufgeblähten Waren zu kaufen, also doch nur wieder die „Reichen“. Und das ist die Wirkung einer Geldumverteilung von weniger als 4 Billionen plus X, also eine verpuffte Wirkung.
9.
Und weil diese Wirkung verpufft, also aufgezehrt wird durch die Verteuerung, führt sie auch nicht zu einer – und gar noch perpetuum-mobile-artigen – Steigerung der Produktion. In der Wirtschaft so wenig wie in der Physik gibt es Perpetuum Mobile.
10.
Soll eine Wirkung erzielt werden, bleibt nur die Möglichkeit einer Umverteilung von 4 Billionen plus X. Bis aber eine Wahlalternative dafür parlamentarische Mehrheiten bekommen hat, dies lässt sich allenfalls unter Zuhilfenahme bisher unbekannter, zusätzlicher Dimension von Raum und Zeit erfassen.
9.
Oder man macht es, wie es sich etwa SAV vorstellt, erst den Protestkessel schüren und „Druck“ aufbauen und ihn dann über Kimme und Korn „koordiniert“ von führungsstarken Avantgardisten zum Platzen bringen.
10.
Und scheitert dann immer schon im Vorfeld, wie etwa auch die SAV, mit dem kontrollierten, stalinistischen Schüren, weil sich die Menschen eben nicht zu gleicher Zeit am gleichen Ort auf dieselbe Empörungs-Temperatur bringen und halten lassen.
11. Ergo: an Konsumentenstreiks und
Kosumenten-koppel-verträgen wird kein Weg vorbeigehen, denn das Kapital mag zwar vorm starken kollektiven Arm der Menschen als Arbeiter ins Ausland flüchten können, dem starken kollektiven Portemonnaie der Menschen als Konsumenten läuft das Kapital bei Strafe seines Unterganges hinterher.
Das Kapital mag durch die Globalisierung stärker als die streikbereiten Arbeiter geworden sein, stärker als das Kapital sind aber trotzdem die koordinationsbereiten Kunden.
Kapital schlägt Arbeiter, Konsument schlägt Kapital, gut das die Menschen beides sind:
Arbeiter und Konsumenten. Sie müssen nur statt eines (Haus-)tarifvertrages als Arbeiter mit dem Unternehmen einen Unternehmens-Konsumentenvertrag als Konsumenten mit diesem Unternehmen erzwingen. Genau wie beispielsweise die Zulieferer in der Autoindustrie zu Verträgen gezwungen werden können, Rabatte bis weit in ihre Gewinnzonen einzuräumen, können die Kunden dies mit gemeinschaftlichen Konsumentenverträge auch.
Und wenn Gewinne zugunsten von Konsum der Menschen geschmälert wird, dann ist das nichts anderes als eine Erhöhung der Lohnquote.
Und darum muss es gehen, wenn es was bringen soll.
Nicht um Umverteilung, parlamentarische Ver- und Zertretungen, Wahlvereine und Politikerkarrieren.
Hans Tatzel